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Der längste Fluss der Welt
Einige Daten
Länge:
6'671 km von der Quelle, dem Kasumo in Burundi bis zum Delta. (5'600 km vom Victoria-See bis zum Delta)
Grösse des entwässerten Beckens:
Etwa 3 Millionen Quadratkilometer
Grösse des Deltas:
Ca. 23'000 Quadratkilometer mit einer Breite von 250 km an der Mittelmeerküste.
9 Anrainerstaaten:
Burundi, Ruanda, Tansania, Uganda, Kenia, Zaire, Äthiopien, Sudan und Ägypten.
Flussgefälle in Ägypten:
Vom Nasser-See oberhalb Assuan bis ins Mittelmeer weißt der Flusslauf ein durchschnittliches Gefälle von bloss noch 3,5 cm pro Kilometer Länge auf.
Wasserverlust auf seinem Weg:
14 Milliarden Kubikmeter pro Jahr durch Verdunstung und Versickerung
Rund um den Nil
Aus der Geschichte eines Stromes - Teil 2
Nilometer und Pegelstände
Hans Wüthrich
Bei Plinius heisst es: zwölf Ellen Hunger, dreizehn Ellen Genüge, vierzehn Ellen Freude, fünfzehn Ellen Sicherheit und sechzehn Ellen Überfluss.
Im vatikanischen Museum gibt es die kolossale Statue des liegenden Nilgottes, auf eine Sphinx gestützt und mit Ähren in der Hand und zu seinen Füssen ein Krokodil, zu bestaunen. Sechzehn prall genährte Kinder umspielen ihn. Eines turnt auf einem von Früchten überhäuften Füllhorn; es sind die sechzehn Ellen, die Garantie für Überfluss.
Nilometer
So alt wie die ägyptische Kultur ist auch das Messen der Nilhöhe selbst. An der Südseite des Tempels von Karnak steht ein Nilometer aus pharaonischer Zeit. In einen Schacht führen Stufen bis hinunter zum Grundwasserspiegel. Am Ostufer der Nilinsel Elephantin in Aswan steht ein aus schweren Quadern errichteter turmartiger Bau, dessen Fundamente im Wasser liegen. Es ist ein Nilometer aus der Ptolomäerzeit, den der arabische Eroberer Ägyptens, Amr Ibn al-As erneuern lies.
Die Araber haben die vorgefundenen Nilometer übernommen und instand gesetzt. Den von Elephantin, den von Dendera, den von Memphis, dessen Bau dem biblischen Josef zugeschrieben wurde und noch ums Jahr 800 im Betrieb gewesen sein soll. Ein Zeitgenosse berichtete, der dort abgelesene Pegelstand sei in der neuen Metropole Al-Fustat (Misr) ausgerufen worden. Reste von vorislamischen Nilometern fand man in Misr selbst auf dem Gelände vor dem ehemaligen byzantinischen Kastell, nahe der Georgskirche. Diese Messpunkte verloren ihre Funktion, als sich der Flusslauf nach westen verlagert hatte. Der erste neue Nilometer wurde durch den Umayyaden-Prinzen, Abdal Aziz Ibn Marwan erbaut der als Statthalter in Ägypten im Jahre 689 von Misr nach Helwan verlegte. Nach seinem Tode (705) kehrte die Verwaltung nach Misr zurück. Unter dem Kalifen Sulaiman Ibn Abdalmalik wurde in den Jahren 715 und 716 an der Südspitze der Nilinsel Roda, gegenüber der Hauptstadt, ein Nilometer erbaut. Dieser blieb eineinhalb Jahrhunderte in Gebrauch, bis er von einem Hochwasser zerstört wurde. Wie ein Besucher aus dem Jahre 832 zu berichten wusste, dürfte dieser Pegelmesser sich kaum von seinen Nachfolgebauten unterschieden haben. Im Jahre 861 lies der Bagdader Kalif Al-Mutawakkil durch seinen ägyptischen Statthalter an der gleichen Stelle den Nilometer neu errichten, wo er heute noch zu besichtigen ist.
Der Nilometer von Roda
Wie sein Vorgänger besteht der neu erbaute Nilometer aus einem tiefen Schacht, im oberen Teil quadratisch, mit einer Seitenlänge von 6,2 Metern und im untersten Teil rund, mit einem Durchmesser von 4,35 Metern. An den Seitenwänden entlang führt eine schmale Treppe in die Tiefe. In der Mittte des Schachtes ragt, auf einem Muhlstein aus Granit und einem Sockel abgestützt, ein achteinhalb Meter hoher, achtkantiger Marmorpfeiler. Gekrönt von einem antiken Kapitell, auf dem der starke Holzbalken aufliegt, der die Marmorsäule in ihrer Lage festhält. Der heutige Marmorpfeiler ist jüngeren Datums. Ursprünglich stand an seiner Stelle eine aus mehreren Marmortrommeln zusammengesetzte Säule, welche durch eine Eisenstange im Zentrum zusammengehalten wurde. Basis, Schaft und Bekrönung mussten mehrmals geändert werden. Die ständige Niveauerhöhung der Sohle durch Schlammablagerungen, forderte eine mehrfache Anpassung.
Die zu sehende Säule gibt also keine Informationen der mittelalterlichen Nilhöhe mehr. Diese lassen sich auf Grund der Ausführungen des Ingenieurs Ahmad ibn Mihammad, an den Seitenwänden des Schachtes entnehmen.
So berichtet der Baumeister und Ingenieur Ahmad: „Alle Inschriften, die ich auf dem Marmor anbrachte, hatten einen senkrechten, kräftigen Duktus, einen Finger dick, und waren aus dem Mamor gemeisselt. Die Vertiefungen waren mit Lapislazuli-Farben ausgemalt, so dass sie von weite lesbar waren.
Als erstes schrieb ich vier Koranverse von gleicher Länge in je eine Zeile auf das Geviert des Nilometerbaus, in Höhe der 17 Ellen auf dem Pfeiler, und zwar auf der Ostseite, dem Eingang gegenüber:
‚Im Namen Gottes, des Barmherzigen Erbarmers! Und wir haben vom Himmel gesegnetes Wasser herabkommen und Gärten damit wachsen lassen und Korn, das abgeerntet wird’ [Sure 50;9];
auf der Nordseite:
‚Und du siehst, dass die Erde erstarrt ist. Wenn wir dann Wasser auf sie herabkommen lassen, gerät sie in Bewegung, treibt und läss allerlei herrliche Arten wachsen’ [Sure 22;5 b];
auf der Westseite:
‚Hast du den nicht gesehen, dass Gott Wasser vom Himmel hat herabkommen lassen, worauf die Erde grün wurde? Er findet Mittel und Wege und ist wohl unterrichtet’ [Sure 22;63]
und auf der Südseite:
Und Er ist es, der, nachdem sie alle Hoffnung aufgegeben haben, reichlich Regen herabkommen und ihnen seine Barmherzigkeit zukommen lässt. Er ist der Freud und des Lobes würdig’ [Sure 42;28].
Diese Verse wurden zu Zeilen auf der Wasseroberfläche, wenn das Wasser 17 Ellen erreichte, denn dies ist der durchschnittliche Höchststand. Dann brachte ich bei der 18. Elle auf allen vier Seiten ein Gesims an, gleich dem, das ich zum Zeichen der 16. Elle angebracht hatte“.
Das untere Gesims, das die kritische Höhe von 16 Ellen anzeigte, ist heute noch zu sehen. Es verläuft direkt über den Scheiteln der Spitzbogennischen. Darüber kann man die vier Koranverse sehen die auf dem Wasser schwammen, hatte sein Stand die Höhe von 17 Ellen erreicht. Auch das Gesims über den Versen, welches 18 Ellen anzeigte, ist noch zu sehen. Die Gründungsinschrift in der Höhe der 18. Elle wurde hingegen bei einem späteren Umbau um fast zwei Ellen höher gesetzt. Auf der West- und Südseite sogar durch eine weniger sorgfältig ausgeführte Inschrift ersetzt. Dabei sind Gründungsdatum und Name des Abbaassiden-Kalifen al-Mutawakkil, wohl nicht ohne Absicht, weggelassen. Dieser Umbau wird dem Fatimiden-Kalifen al-Muustansir im Jahre 1092 zugeordnet.
Der Baumeister berichtet weiter: „Dann nahm ich mir das vor, was an der Säule über der 19. Elle liegt: das darauf ruhende Kapitell und den Akazienholzbalken, der es in seiner Position hält, und bemalte dies alles mit Gold und Lapislazuli; auf den Balken schrieb ich den ganzen Thronvers.
“Allah – es gibt keinen Gott ausser Ihm, dem Lebendigen und Beständigen. Ihn überkommt weder Schlummer noch Schlaf. Ihm gehört was in den Himmeln und was auf der Erde ist. Wer ist es denn, der bei Ihm Fürsprache einlegen könnte – ausser mit seiner Erlaubnis? Er weiss, was vor ihnen und was hinter ihnen liegt, sie aber umfassen nichts von seinem Wissen – ausser, was Er will. Sein Thronschemel umfasst die Himmel und die Erde, und ihre Behütung beschwert Ihn nicht. Er ist der Erhabene und Allgewaltige. [Sure 2;255 (Thronvers)] Dieser Balken war ausgehöhlt und mit Blei beschwert.
Die Skala der Pegel auf der Säule war in zwei verschiedene Maßsysteme unterteilt. Die unteren 12 Ellen bewahrten die altägyptische Einheit von 53,9 cm. Für die oberen Ellen benutzte man die seit der arabischen Eroberung die arabische Elle von 46,2 cm. Aufgrund dieser Neuerung entsprechen den antiken 14 Ellen, die nach Plinius „Freude“ bedeuteten, in islamischer Zeit 16 Ellen. Die 16 Ellen bei Plinius „Überfluss“, dagegen entsprechen den 18 Ellen des Nilometers.
Wartung der Nilometer
Dass solche Einrichtungen ständiger Wartung bedurften ist durchaus verständlich. Der Schacht war ganz unten ursprünglich mit einem wagrechten Verbindungskanal – heute sind es drei, der erste im untersten und runden Teil, der zweite gleich darüber und der dritte bei der Spitzbogennische an der Ostseite – mit dem Nil verbunden. Dieser Zufluss musste regelmässig von Schlamm und Sand geeinigt werden. Dem Pegelwärter stand dazu ein jährlicher Betrag zur Verfügung.
Die Hauptaufgabe des Wärters war natürlich das tägliche Ablesen des Pegels während der Nilschwelle. Die Feststellung der kritischen 16 Ellen. Seine Arbeit begann im Mai mit dem Ablesen des Pegels vom Altwasser. Der ägyptische Beamte der späten Fatimidenzeit Ibn at-Tuwair, schrieb dazu:
„Wenn Gott den gesegneten Nil steigen lässt, liesst Abi ar-Raddat den Stand der Ellen des PPegels am 25. Payni (2. Juli) ab und stellt das entsprechende Datum des arabischen Kalenders fest. Der abgelesene Wasserstand wird dan zur Kanzlei gebracht und in dem speziell für den Pegel bestimmten Register verzeichnet. Von da an wird das Ansteigen des Wassers täglich, jeweils nach dem arabischen wie nach dem koptischen Kalender datiert. Das geht unter Geheimhaltung vor sich; niemand erfährt davon, bevor nicht der Kalif – und nach ihm der Wesir – davon unterrichtet worden sind."
Der Grund zur Geheimhaltung lag darin, um die bei unregelmssigem Steigen üblichen panikartigen Hamsterkäufe zu vermeiden. Berits unter dem ersten ägyptischen Fatimiden, al-Muizz, wurde im Jahre 973 das tägliche Ausrufen der Nilhöhe aus diesen Gründen ganz unterbunen. Der aus Jerusalem stammende Reisende, al-Muqaddasi, schrieb 985 in seiner „Geografie der islamischen Welt“: „Dabei ruft er aus: ‚Got hat heute den gesegneten Nil um soundsoviel ansteigen lassen; die Vollendung liegt bei Gott’. Das Ausrufen geschieht allerdings erst von der 12. Elle an.“
Wichtige Pegelstände
Für die damalige Bevölkerung waren die Pegelstände ausserordentlich wichtig. Hing doch das Wohl des Volkes einzig von der Nilschwelle ab. War sie zu gering, oder auch zu gross, war Not und Hunger vorauszusehen. Es ist überliefert, dass die 13. und 14 Elle die Namen der beiden Grabesengel „Munkar“ und „Nakir“ trugen. Denn wenn das Wasser unterhalb der 15. Elle blieb, drohte eine Hungersnot. Das öffentliche Gebet für Regen wurde angeordnet. Hatte der Nil die Höhe von 15 Ellen überschritten, blieb aber under der 16. stehen, bedeutete das einzig für einen Teil des Volkes Wohlstand. Ein Teil der Steuern wurde den Benachteiligten, deren Lamd nicht überflutet wurde, erlassen. Erst beim Stand von 16 Ellen konnte der Fiskus die Erntesteuer in vollem Unfang erheben. Selbst bei diesem Pegelstand wurde das höhe gelegene Weideland nicht überflutet, was einen Mangel an Viehfutter mit sich brachte. Erst beim Erreichen der 17.Elle war die Gefahr gebannt. Die 18. Elle bedeuteteaber bereits der Anfang des Katastrophenbereiches. Die Siedlungen waren von Übeflutung bedroht. Der Abfluss des Wassers dauerte zu lange und die Felder nahmen Schaden und konnten nicht rechtzeitig bestellt und besät werden.
Überflutetes Dahschur. . Im Hintergrund die Schwarze Pyramide (Amenemhet III; 12.Dynastie) und dahinter die Knick-Pyramide (Snofru; 4. Dynastie)
Mit freundlicher Zustimmung von Lehnert & Landrock (siehe Inseratenteil) durfte dieses Bild abgedruckt werden.