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Der längste Fluss der Welt
Einige Daten
Länge:
6'671 km von der Quelle, dem Kasumo in Burundi bis zum Delta. (5'600 km vom Victoria-See bis zum Delta)
Grösse des entwässerten Beckens:
Etwa 3 Millionen Quadratkilometer
Grösse des Deltas:
Ca. 23'000 Quadratkilometer mit einer Breite von 250 km an der Mittelmeerküste.
9 Anrainerstaaten:
Burundi, Ruanda, Tansania, Uganda, Kenia, Zaire, Äthiopien, Sudan und Ägypten.
Flussgefälle in Ägypten:
Vom Nasser-See oberhalb Assuan bis ins Mittelmeer weißt der Flusslauf ein durchschnittliches Gefälle von bloss noch 3,5 cm pro Kilometer Länge auf.
Wasserverlust auf seinem Weg:
14 Milliarden Kubikmeter pro Jahr durch Verdunstung und Versickerung
Rund um den Nil
Aus der Geschichte eines Stromes - Teil 1
Rätsel und Wunder
Hans Wüthrich
Heute erscheint vor unserem Auge das Bild eines ruhig dahin fliessenden Stromes, der grenzenlose Wüsten durchquert, über denen sich schemenhaft Silhouetten von Pyramiden erheben. Erinnerungen an die glorreiche Zeit der ägyptischen Könige, der Pharaonen. Wir sehen hohe weisse Segel und Uferstreifen von sattem Grün. Vielleicht überfallen uns Gedanken an Forschungsreisende und Archäologen, wie Burton, Speke, Livingstone, Stanley Champollion oder Carter. Oder es drängen sich Namen aus vergangenen Jahrtausenden in unser Bewusstsein vor, die noch heute einen mythischen Klang an sich haben. Moses, Josef, Ramses, Nofrotete, Kleopatra.
Hier am Nil treffen sie aufeinander, Kontinente und Kulturen, Ruhmreiche Vergangenheit und ungewisse Zukunft. An seinen Ufern blühten Zivilisationen, die in der Geschichte der Menschheit ihresgleichen suchen.
Der erste Reisende, der seine Eindrücke vom Lande am Nil in schriftlicher Form nach Europa brachte, war der Grieche Herodot, der als Begründer der Geschichtswissenschaft gilt. Er prägte die Worte: „Ägypten ist das Geschenk des Nil“. Wohl eine Wahrheit die bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren hat.
Der Anbeginn der Welt...
Gegrüsst seist du, der du Ägypten neu belebst,
der du die Wüste tränkst.
Wenn das Hochwasser ausbleibt, ist der Mensch im Elend.
Wir begrüssen dich wie ein König,
wenn du zur Zeit der Hochwasser wiederkommst
und Ober- und Unterägypten füllst.
Wenn die Flut steigt, bereiten wir dir Opfer;
wir schlachten Ochsen für dich.
...Nil breite dich aus, du hältst Mensch und Vieh am Leben“
Eine 4000 Jahre alte Hymne auf Hapy begrüsst den Fruchtbaren Schlamm. Die Ägypter der Pharaonenzeit glaubten, die Lebensspendende, aber auch gefährliche Überflutung sei das Werk von Hapi, eines Gottes den sie verehrten. Die Menschen der damaligen Zeit wussten, dass ihr Land ohne Zuführung von Wasser und Schlamm nur öde und unfruchtbare Wüste wäre. Mit Überzeugung sahen sie den Nil als Anbeginn er Welt, und Ursprung allen Lebens. Das Land war in zwei Böden unterteilt, in einen „schwarzen“, fruchtbaren und in einen „roten“, den kargen Boden der Wüste.
Wenn der Nil anfangs Mai seinen tiefsten Wasserstand erreichte, führte er eine Wassermenge von etwa 500 Kubikmetern pro Sekunde. Im Oktober, gegen Ende der Hochwasserzeit, erreichte er die stattliche Menge von um die 8000 Kubikmeter in der gleichen Zeiteinheit. Diese Schwankung, und somit der Nil, bestimmte auch den ägyptischen Kalender von damals: Akhet war die Zeit der Überflutung, Peret (Oktober bis Februar) die Zeit der Aussaat, Shemou (Februar bis Juni) die Zeit der Ernte.
Der Nil ist ein Wunder...
Zu denen, die Fabeln – aber auch Wahres – vom Nil zu berichten wussten, gehörte auch der arabische Geograph, mit vollem Namen, Abu Hasan Ali Ibr Al Husain Ibn Ali. Heute bekannt unter dem Namen Al Mas’udi. An den mächtigen Strömen Mesopotamiens, an Euphrat und Tigris, war er aufgewachsen. Mit dem Lauf „seiner“ Flüsse war er vertraut. Er hatte bereits Persien, Pakistan und sogar das Fabelland Indien bereist. In seinen Büchern hat er dargestellt, was ihn da faszinierte.
Doch als er im Jahre 941 an den Nil kam, beschloss er zu bleiben, um Menschen und Land am „König der Flüsse“ verstehen zu lernen. Al Mas’udi begann nun, das Land am Nil zu erkunden und zu beschreiben. Noch unsicher in Einsicht, Erkenntnis und Formulierung suchte er in den Bibliotheken der Stadt, die man zu dieser Zeit noch nicht Al Qahira (Kairo) nannte, was kundige Leute in den Jahren zuvor über Ägypten festgehalten hatten. Die nach seiner Meinung treffendsten Worte, die er als Charakterisierung eines Weisen über das Land am Nil fand, setzte Al Mas’udi an den Anfang seiner Abhandlung.
„Der Nil ist ein Wunder. Drei Monate des Jahres ist das Land an seinen Ufern eine silbrig schimmernde Perle. Drei Monate ist das Land schwarzer Moschus, drei Monate ein dunkelgrüner Smaragd und drei Monate ein Barren roten Goldes!“
Diese Worte des Weisen ergänzte und erläuterte Al Mas’udi aus seiner eigenen Anschauung mit den folgenden Worten:
„Eine silbrig schimmernde Perle ist das Land am Nil in den Monaten Juli, August und September, wenn es von der Flut des Flusses überschwemmt ist; wenn die auf allen Seiten vom Wasser umgebene Gehöfte und Dörfer auf ihren Erhebungen und Hügeln über dem unruhig spiegelnden Nil den Sternen gleichen, wenn die Dörfer nur noch mit Booten erreichbar sind.
Schwarzer Moschus ist das Land am Nil in den Monaten Oktober, November und Dezember, wenn das Wasser in das Flussbett zurücktritt und einen schwarzen Boden hinterlässt, in den die Bauern die Saat legen. Dieser schwarze Boden strömt ein starker Geruch aus, der dem Duft des Moschus gleicht.
Ein dunkelgrüner Smaragd ist Ägypten in den Monaten Januar, Februar und März, wenn im die überall spriessenden Gräser, die Pflanzen der Felder und die Blätter der Bäume den Glanz dieses Edelsteins verleihen.
Ein Barren roten Goldes ist Ägypten in den Monaten April, Mai und Juni, wenn die Saat reift, wenn Gräser, Pflanzen und Baumblätter eine rötliche Färbung annehmen. Dann gleicht das Land am Nil, vom Anblick wie vom Nutzen her, dem Golde.
Ein Wunder ist der Nil!“
Nilschwelle - Rätsel und Geschichten
Gerade zur Zeit, im Sommer, wenn alle Flüsse der bekannten Welt zu versiegen drohten, begann der Nil zu steigen. Für die arabischen Gelehrten jener längst vergangener Zeit lag es nahe, hier einen Zusammenhang zu vermuten. Das antizyklische Verhalten des Flusses bekräftigte sie in der Meinung, im Nil den Herr und Gebieter aller Gewässer zu sehen. Alle Brunnen, alle Quellen und alle Flüsse mussten versiegen, dass der Nil steigen konnte. Erst wenn er ihnen seine Wassermassen zurückgab, konnten diese wieder zu fliessen beginnen.
Die Jährlichen Hochwasser haben aber auch schon die Gelehrten des Altertums immer wieder beschäftigt. Während Aristoteles glaubte, der Fluss würde durch die in Ägypten vorherrschenden Nordwinde aufgestaut, sah Alexander von Aphrodias die Ursache des Rückstaus in Sandablagerungen in der Deltamündung. Orosius, der portugiesische Historiker vermutete einen Zusammenhang mit den Gezeiten des Ozeans. Ihm war das Phänomen von Ebbe und Flut bekannt, wie auch die Abhängigkeit vom Umlauf des Mondes um die Erde, auch wenn er das nicht vollständig durchschaute.
Die wirklichen Ursachen der Nilhochwasser waren in Ägypten schon im Mittelalter bekannt. Handelsbeziehungen mit Nubien und dem Sudan waren schon damals sehr entwickelt. Auch kannte man das weit entfernte Abessinien. Die damaligen Geografen und Historiker Al-Ya’qubi (891), Al Mas’udi (944) und Ibn Hauqal (955), wussten – wie es ihre Werke zeigen – dass die Nilschwelle durch Regenfälle im fernen Süden verursacht wird. Im Jahre 1200 erklärte in Kairo ein Gesandter des Negus von Abessinien, dass die unzureichende Nilschwelle dieses Jahres auf die geringen Regenfälle in seiner Heimat zurückzuführen seien.
Im Volke aber setzte sich dieses Wissen nur zögernd durch. Der ägyptische Chronist Ibn ad-Dawadari (1331 gest.) berichtete: „Man sagt, dass die Flutwelle auf winterliche Regenfälle und Überflutungen in Abessinien und Nubien zurückgehe und wegen der Länge des Flusses erst mit Verzögerung im Sommer in Ägypten eintreffe.“ Doch daran glaubte er selber nie und gab einer frommen Version den Vorzug, nach der die Nilquellen durch Gottes Wille stärker oder schwächer fliessen.
Bauernregeln
Den ägyptischen Bauern war schon immer bewusst, das ihr Wohlergehen, ihr Wohlstand fast ausschliesslich vom Pegel der alljährlich wiederkehrenden Flut abhing. Die ägyptischen Autoren des Mittelalters überlieferten eine ganze Reihe von Bauernregeln, mit deren Hilfe die christlichen Felachen des Niltals den zu erwartenden Wasserstand im Voraus zu ermitteln versuchten.
Mann nehme etwas Weizenmehl, knete es mit dem Wasser des Nil und stelle es am Abend vor Michaelis in einen aus Nilschlam gefertigten Tontopf zugedeckt auf. Ist der Teig am Morgen des Festtages von selbst aufgegangen, so wird die Nilschwelle ausreichend sein. Bleibt der Teig aber ungesäuert so steht ein Mangeljahr bevor.
Der Wind am Morgen von Michaelis war ein zusätzliches Indiz. Weht der übliche Nordwind, ist es gut, weht aber der Südwind, wird Unheil und Not verheissen.
Zu demjenigen Tag des islamischen Kalenders, der dem koptischen 1. Pharmuti (9.April) entspricht, ist die Zahl 85 zu addieren und die Summe durch 6 zu teilen. Das Ergebnis gibt die Zahl der Ellen des Höchststandes der zu erwarteten Flut wieder.
Der ägyptische Historiker al-Maqrizi (1449 gest.) hielte diese volkstümlichen Regeln in seinen Beschreibungen Ägyptens ebenso fest, wie die, die von Gelehrten Astronomen günstigen und ungünstigen Konstellationen der Gestirne. Er empfahl jedoch, sich an eine von ihm selbst erprobte Faustregel zu halten.
Der Nilpegel am 1. Mesore (7. August) plus die Zahl 8 dazugerechnet, ergibt in etwa den zu erwartenden Höchststand der Nilflut in Ellen.
Die Quellen des Nil
Die Quellen des Nil lagen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in unbekannter südlicher Ferne. Erst die englischen Forschungsreisenden Speke, Grant und Baker fanden den Zusammenhang mit dem Victoria- und Albert-See. Bis zu dieser Zeit kannte die europäische Wissenschaft kaum mehr als die arabischen Autoren es Mittelalters. Nach ihnen waren die Quellflüsse am Fusse des „Mondgebirges“ zu suchen. „Sie sammeln sich in zwei Seen, aus denen der Fluss dann austritt. Eine lange Strecke fliesst er durch öde Wüste, bevor er bewohnte Gebiete in Nubien erreicht.“ Die Geografen von damals begnügten sich mit diesen nüchternen Angaben.
Der Volksmund schmücke aber diese Angaben und vagen Kenntnisse mit Legenden aus. Eine der Volkstümlichen Vorstellungen von der Entdeckung der Nilquellen gibt ein Autor des späten 12. Jahrhunderts wieder. Nach dem ein sagenhafter Tyrann von Ägypten eine Expedition unter dem Prister Hermes ausgeschickt haben soll, um den Süden zu erkunden. Hermes entdeckte die Nilquellen, als er bis zum Mondgebirge vorgedrungen war. Dort liess er einen Tempel bauen, i den er durch Kanäle die gefassten Quellflüsse leitete. Im Inneren des Tempels soll das Wasser durch die Mundöffnung von 85 kupfernen Statuen in zwei Becken geflossen sein, welche der Regulierung der Wassermenge dienten. Die Einrichtung soll so funktioniert haben, dass nur die Wassermenge, welche das Optimum des Pegelstandes von 18 Ellen ergab, in den Fluss geleitet wurde. Die überschüssigen Wasser aber sollen in die Wüste und Dschungel geleitet worden sein.