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Man sagt, Ägypten sei das älteste Reiseland der Welt. Heute sind es Millionen, die das Land am Nil besuchen. Sei es, um sich an den Stränden des Roten Meeres zu erholen, oder Gedankenversunken dem Nil entlang zu reisen, um die Überbleibsel einer längst vergangenen Kultur zu bestaunen.   

 

Doch schon früh gab es Reisende, die über die Wunder und Andersartigkeit am Nil zu berichten wussten. Blicken wir rund 2500 Jahre zurück, werden wir dem Reisenden begegnen, der die berühmten Worte Formte: „Ägypten ist ein Geschen des Nil“ – Herodot.

 

Viele seiner Schilderungen halfen mit, Rätsel zu lösen und Wahrheiten auf die Fragen zu finden, die die Wissenschaft und nicht zuletzt auch die Menschheit, über die alte Hochkultur am Nil immer wieder beschäftigte. Namhafte Spezialisten, vor allem Ägyptologen, haben versucht, die geschilderten Verhältnisse zu rekonstruieren, zum Teil in anschaulicher Form, in Gestalt historischer Romane. An erster Stelle steht Georg Moritz Ebers (1837-1898), ein bedeutender Ägyptologe, der vor allem durch die Entdeckung des Papyrus „Ebers“ eine Art von medizinischem Handbuch der alten Ägypter, bekannt wurde. Neben seinen Wissenschaftlichen Arbeiten verfasste er historische Romane, die er mit gelehrten Anmerkungen und Quellenhinweisen versah; als interessantes Werk steht „Eine ägyptische Königstochter“ (1. Aufl., Stuttgart 1864, 3 Bde.) an erster Stelle. Trotz aller dichterischen Freiheit greift er auf historische Tatsachen zurück und bezieht sich in diesen Bänden vornehmlich auf Herodot. Zu beginn der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat der Finne Mika Waltari ein auch verfilmtes Werk verfasst: „Sinuhe der Ägypter – Fünfzehn Bücher aus dem Leben des Arztes Sinuhe, ungefähr 1390-1335 vor unserer Zeitrechnung“ (Helsinki 1954, Berlin 1959),  dessen Stoff uns kaum ohne die direkt oder indirekt übernommenen Quellen Herodots hätte vermittelt werden können.

Seine Schilderungen geben Anlass zu vermuten, dass die Ägyptische Kultur von damals Vorreiterrollen für heutige Kulturen und Weltreligionen innehatte. Sie vermitteln das tiefe und breite Wissen, das zur damaligen Zeit, insbesondere im Gesundheitswesen, bei den Ägyptern vorhanden war.

 

Bevor wir nun Herodots phantastischen Erzählungen folgen und uns dazu da und dort in Überlegungen finden, sei er nachfolgend kurz vorgestellt.

 

Herodot (Herodotos) wird als der Vater der Geschichte benannt. Als ältester griechischer Historiker gilt er als Begründer der abendländischen Geschichtsschreibung überhaupt. Die biografischen Daten sind nicht genau bekannt. Nach der wahrscheinlichsten unter verschiedenen Angaben, soll er im Jahre 484 v. Chr. in Halikarnassos, an der Südwestküste von Kleinasien (heute das anatolische Budrun) geboren worden sein. Der Tod von Herodot wird um das Jahr 425 v. Chr. datiert, etwa in der Mitte des Peloponnesischen Krieges, dessen erste Jahre er, aus seinem Werk nachweisbar, noch erlebt hatte.

Aus seinem Geschichtswerk ist ersichtlich, dass er einen grossen Teil seines Lebens auf Reisen zugebracht haben muss. Er kannte nicht nur Kleinasien, das eigentliche Griechenland und Unteritalien aus eigener Anschauung. Er hat seine Reisen in den Osten bis nach Babylon und im Norden bis zum schwarzen Meer ausgedehnt. Seine Reisen in Ägypten führten ihn bis nach Elephantine, dem heutigen Asswan.  Ein zu dieser Zeit ungeheuerliches Unternehmen, wenn man die damaligen Verhältnisse, die Schwierigkeiten und Gefahren die das Reisen zu Wasser und zu Land mit sich brachten, bedenkt.

Herodot musste es sich immer wieder gefallen lassen, das die Objektivität seiner Berichte in Zweifel gezogen wurden, ja sogar als zu phantastisch und somit als unwahr abgetan wurden. Erst relativ spät konnte seine Berichterstattung durch archäologische Funde und Untersuchungen bestätigt werden. Und heute scheint der damalige „Phantast“ Herodot vollends rehabilitiert zu sein.

 

Begleiten wir Herodot nun in der Folge auf seinen Reisen in Ägypten während der 27. Dynastie, der ersten Perserherrschaft am Nil, in der Zeit von Artaxerxes I. und lassen uns von seinen Schilderungen faszinieren und fesseln.

 

Mit

Herodot

in Ägypten

 

Auszüge aus seinen

Reiseberichten

 

 

Bearbeitung:  Hans Wüthrich

"Ich gehe dazu über, ausführlich über Ägypten zu berichten, weil es sehr viele Merkwürdigkeiten aufweist und im Vergleich zu jedem anderen Land sich dort unbeschreiblich grosse Kunstwerke finden. Dies ist der Grund für die ausführlichere Darstellung. Die Ägypter haben entsprechend dem Himmel, der bei ihnen anders ist, und dem Flusse, der ein anderes natürliches Gepräge hat als die sonstigen Flüsse, sich Sitten und Gebräuche gegeben, die in fast allen Stücken im Gegensatz zu denen der übrigen Menschheit stehen. Bei ihnen gehen die Frauen auf den Markt und treiben Handel, während die Männer zuhause bleiben und am Webstuhl sitzen. Während alle anderen beim Weben den Einschlag nach oben stossen, stossen ihn die Ägypter nach unten. Die Lasten tragen die Männer auf dem Kopf, die Frauen auf den Schultern. Die Frauen lassen das Wasser stehend, die Männer sitzend. Den Abort haben sie im Hause, das Essen nehmen sie ausserhalb des Hauses auf der Strasse ein, wobei sie als Erklärung geben, man müsse, was zwar hässlich aber unumgänglich ist, im Verborgenen erledigen, was aber nicht hässlich ist, sollte man in aller Öffentlichkeit tun. Keine Frau übt ein Priesteramt aus weder für eine männliche noch für eine weibliche Gottheit, die Männer aber für alle Götter und Göttinnen. Den Unterhalt der Eltern zu bestreiten, beruht für die Söhne ganz auf Freiwilligkeit und es wird kein Zwang ausgeübt. Dagegen besteht keine Freiwilligkeit, vielmehr voller Zwang für die Töchter“. (II/35)

„Die Priester der Götter tragen anderswo langes Haar, in Ägypten lassen sie es scheren. Bei anderen Völkern herrscht die Sitte, dass bei einem Trauerfall die nächsten Leidtragenden das Haupthaar geschoren haben, die Ägypter aber lassen bei Todesfällen ihr Haupthaar und ihren Backenbart wachsen, während sie sonst geschoren sind. Die anderen Völker leben getrennt von ihren Tieren, die Ägypter aber mit ihren Tieren zusammen. Von Weizen und Gerste leben die anderen; wer jedoch von den Ägyptern davon seinen Lebensunterhalt bestreitet, der zieht sich grössten Tadel zu. Vielmehr bereiten sie Brot aus Dinkel, den manche „Zeia“ nennen. Sie kneten den Brotteig mit den Füssen, den Lehm mit den Händen, und so nehmen sie auch den Mist mit der Hand auf. (der Mist wurde getrocknet und als Brennmaterial verwendet). Die Geschlechtsorgane lassen die anderen so, wie sie geworden sind, ausgenommen diejenigen, die von den Ägyptern gelernt haben, sie zu beschneiden. An Kleidern hat jeder Mann zwei, von den Frauen jede nur eines. Bei den Segeln binden die anderen die Ringe und die Taue an der äusseren Schiffswand an, die Ägypter an der inneren.  Die Hellenen schreiben und rechnen, indem sie die Hand von links nach rechts führen, die Ägypter von rechts nach links. Und dabei behaupten sie von sich selbst, sie würden dies nach rechts tun und die Hellenen nach links. Sie benützen zweierlei Buchstaben, die einen nennen sie die heiligen, die anderen die profanen.“  (II/36)

 

Die Schriftentwicklung der Ägypter fand in verschiedenen Stufen statt. Die älteste davon ist die Hieroglyphenschrift, die eine reine Bilderschrift war, und sich auf Inschriften findet. Daneben gab es eine Schrift mit abgekürzten Bildzeichen, die im Allgemeinen für die Papyri Verwendung fand. Eine weitere Entwicklungsstufe stellt die hieratische Schrift dar, die durch weitere Verkürzung und Umwandlung der Bilder in Zeichen entstand und vornehmlich für den priesterlichen Amtsbedarf verwendet wurde und schliesslich die demotische Schrift, die seit dem siebten Jahrhundert im täglichen Leben des Volkes Verwendung fand.

 

„Sie sind in hohem Masse Gottesfürchtig, darin alle anderen Menschen übertreffend, und haben folgende Satzungen:  sie trinken aus ehernen Bechern, die sie jeden Tag ausspülen, und dies gilt nicht etwa für den einen und für den anderen nicht, sondern gleichermassen für alle. Sie tragen stets frisch gewaschene Leinwandkleider und geben darauf ganz besonders acht. Ihre Geschlechtsteile beschneiden sie aus Reinlichkeitsgründen; sie legen mehr Wert auf Reinheit als auf angemessene körperliche Beschaffenheit. Die Priester schneiden sich alle zwei Tage am ganzen Körper die Haare ab, damit weder eine Laus noch ein sonstiges Ungeziefer sich bei ihnen einnistet, solange sie im Dienst des Gottes sind. Die Priester tragen nur ein einziges Kleid, und zwar ein Linnenes, ferner Schuhe aus Bast. Ein anderes Kleid dürfen sie nicht anziehen, auch keine anderen Schuhe. Sie baden zweimal am Tag in kaltem Wasser und zweimal jede Nacht. Noch andere heiligen Gebote erfüllen sie, sozusagen unzählige. Sie geniessen aber auch nicht wenige Annehmlichkeiten. Den von ihrem Eigentum verbrauchen und verzehren sie nichts, sondern es steht ihnen sowohl gebackenes heiliges Brot zur Verfügung, wie auch von Rind- und Gänsefleisch jedem täglich eine grosse Menge zugeteilt wird; auch Traubenwein wird ihnen gegeben. Fische dürfen sie jedoch nicht essen. Bohnen pflanzen die Ägypter in ihrem Lande überhaupt nicht, und wo solche wild wachsen, essen sie diese weder in rohem Zustande, noch gekocht. Ja, die Priester dulden nicht einmal, dass sie ihnen vor Augen kommen, da sie glauben, es handle sich um eine unreine Hülsenfrucht.. Den Dienst für den einzelnen Gott versieht nicht ein einziger Priester, sondern eine Vielzahl, von denen einer der Oberpriester ist. Wenn einer stirbt, tritt dessen Sohn an seine Stelle…“  (II/37)

 

„Die Stiere, glauben sie, sind dem Epaphos (Apis) heilig, und deshalb prüfen sie dieselben also: wenn man auch nur ein schwärzliches Haar an ihm sieht, so gilt er nicht als rein. Es untersucht dies aber ein eigens dazu bestellten Priester und dabei muss das Tier aufrecht stehen und auf dem Rücken liegen, auch zieht er ihm die Zunge heraus, ob sie rein ist von den vorgeschriebenen Zeichen, wovon ich anderswo sprechen werde.

Er besieht auch die Haare des Schweifes, ob sie auch so gewachsen sind, wie sie sein sollen. Ist er nun in allen diesen Stücken rein, so zeichnet er ihn dadurch, dass er ihm Byblos um die Hörner windet, und sodann streicht er Siegelerde darüber und drückt seinen Fingerring darauf, und so führen sie ihn ab. Und wer einen ungezeichneten opfert, darauf steht die Todesstrafe.“ (II/38)

„Das Schwein aber halten die Ägypter für ein unreines Tier. Und wenn einer auch nur im Vorbeigehen ein Schwein berührt hat, so steigt er in den Fluss samt den Kleidern und badet sich; auch sind die Sauhirten, obwohl sie eingeborene Ägypter sind, die einzigen von allen, die in keinen Tempel kommen dürfen im ganzen Lande. Auch mag ihnen keiner seine Tochter geben, noch eine von ihnen freien, sondern die Sauhirten freien untereinander. Den übrigen Göttern dürfen die Ägypter keine Schweine opfern, nur der Mondgöttin und dem Dionysos allein opfern sie Schweine, zu einer und derselben Zeit, nämlich am Vollmond, und dann essen sie auch ihr Fleisch. Warum aber an den übrigen Festen die Schweine ihnen ein Gräuel sind und doch an diesem geopfert werden, darüber erzählen die Ägypter eine Geschichte, mir aber, obwohl ich sie weiss, steht es eben nicht an, sie zu erzählen. Geopfert werden die Schweine der Mondgöttin auf folgende Art: wenn sie das Tier geschlachtet, legen sie die Spitze des Schwanzes und die Milz und die Netzhaut alles auf einen Haufen und bedecken es mit allem Speck, der an dem Bauch des Tieres sitzt, und sodann verbrennen sie es im Feuer; das übrige Fleisch aber essen sie an dem Vollmond, da sie das Opfer geschlachtet, an einem anderen Tage aber würde keiner davon essen. Die Armen kneten aus Dürftigkeit Schweine von Teig und backen sie und bringen sie zum Opfer.“ (II/47)

 

Es scheint also, dass der Erzvater Abraham in Ägypten nicht nur die Beschneidung, sondern auch einige Reinigungsvorschriften und Speisegesetze als gesundheitsfördernde Massnahmen kennen gelernt hat und diese in seiner neuen Heimat nach der Auswanderung bei seinen Volksgenossen auch eingeführt hat.

Die Bedeutung der Beschneidung als hygienische Massnahme ist kaum ausser Frage zu stellen. In heissen Klimaten, in Verbindung mit dem überall hinwehenden, alle Stoffe und Kleidungsstücke durchsetzenden Wüsten- oder Steppensand, waren die Balanitis und deren Folgeerscheinungen häufig (und sind es auch heute noch bei unbeschnittenen), vor allem aber: sie beeinträchtigte die die Fortpflanzungsbereitschaft, die wiederum religiöses Gesetz war.

Die Ursache für das Verbot des Schweinefleisches mag auf der reinen Erfahrung beruhen, dass dieses relativ fettreiche Fleisch leicht zu Gärungs- und Fäulnis-Dyspepsien führt, deren Auswirkung in heissen Ländern mit weitaus schwereren Krankheitserscheinungen aufzutreten pflegen, als etwa im kühleren Klima Nord- und Mitteleuropas; sowie die für die dortige Gegend typische Häufung parasitärer Erkrankungen (Taenien, Trichinosis?), die ebenfalls einen in der Regel ernsteren Verlauf nehmen.

 

Es ist zugleich auch aufschlussreich die späteren Auswirkungen der altägyptischen Speiseregeln (bzw. einiger derselben) näher zu beleuchten – die möglichen Auswirkungen auf das Mosaische Gesetz und wiederum auf den Islam, zwei der grossen Weltreligionen, deren rituelle Vorschriften heute noch ebenso aktuell sind wie vor Jahrtausenden. Kennzeichnend ist der orientalische Ursprung beider Religionen, und es scheint nahe liegend, den Ursprung ihrer Gesetze zum Teil bis auf die älteste der dominierenden Kulturreligionen des Altertums zurückzuführen, die der alten Ägypter – wenn auch es heute kaum mehr möglich sein dürfte, diese nur vermutbaren Zusammenhänge unter Beweis zu stellen.

 

Also heisst es im Alten Testament über die reinen und unreinen Speisen:

„Du sollst keinen Gräuel essen. Das sind aber die Tiere, die ihr essen sollt: Ochs, Schaf, Ziege, Hirsch, Reh, Büffel, Steinbock, Gemse, Auerochs, und Elen; und alles Tier, das seine Klauen spaltet und wiederkäut, sollt ihr essen.

Das sollt ihr aber nicht essen von dem, das wiederkäut, und von dem, das die Klauen spaltet: das Kamel, der Hase und Kaninchen, die wiederkäuen und doch die Klauen nicht spalten, sollen euch unrein sein; das Schwein, ob es wohl die Klauen spaltet, so wiederkäut es doch nicht: es soll euch unrein sein. Ihr Fleisch sollt ihr nicht essen, und ihr Aas sollt ihr nicht anrühren. Das ist, was ihr essen sollt von allem, das im Wasser ist: alles, was Flossfedern und Schuppen hat, sollt ihr essen. Was aber keine Flossfedern noch Schuppen hat, sollt ihr nicht essen; denn es ist euch unrein.

Alle reinen Vögel esset. Da sind sie aber, die ihr nicht essen sollt: der Adler, der Habicht, der Fischaar, der Taucher, der Weih, der Geier mit seiner Art und alle Raben mit ihrer Art, der Strauss, die Nachteule, der Kuckuck, der Sperber mit seiner Art, das Käuzlein, der Uhu, die Fledermaus, die Rohrdommel, der Storch, der Schwan, der Reiher, der Häher mit seiner Art der Wiedehopf, die Schwalbe. Und alles, was Flügel hat und kriecht, soll euch unrein sein, und sollt es nicht essen.

Ihr sollt kein Aas essen – dem Fremdling an dem Tor magst du’s geben, dass er’s esse oder dass er’s verkaufe einem Ausländer -; denn du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Du sollst das Böcklein nicht kochen in der Milch seiner Mutter.“ (3.Mose, 11, 1-47; 5.Mose, 14, 3-21)

Im Koran sind die Speisegesetze ähnlich behandelt, wenn sie auch in der Lehre Mohammeds eine gewisse Linderung gegenüber der jüdischen erfahren. Da heisst es ausdrücklich, dass es den Gläubigen erlaubt ist, auch die Speisen der „Schriftbesitzer“, d.h. Juden oder Christen, zu geniessen, wie umgekehrt. (Koran, Sure 5; 5)

 

„Verboten ist euch zu essen: das von selbst verstorbene und das Blut und Schweinefleisch und das, bei dessen Schlachtung der Name eines anderen als Allahs angerufen wurde, und das erstickte und durch einen Schlag oder einen Fall zu Tode Gestürzt oder durch die Hörner eines anderen Tieres getötet (und angefressen), und das von Wilden Tieren zerrissene, es sei denn, ihr selbst habt es erst völlig getötet, und das, was Götzen zu Ehren geschlachtet wird… Wer aber durch Hunger gezwungen, Verbotenes geniesst, ohne die Absicht, sündigen zu wollen, gegen dehn ist Allah verzeihend und Barmherzig.“

(Koran, Sure 5; 3)

 

Auf die in den letzten Abschnitten beschriebenen Massnahmen – Beschneidung, Reinigung, Verbot von Schweinefleisch und sonstige Speisegesetze – blieben die hygienischen und prophylaktischen Vorschriften der alten Ägypter keineswegs beschränkt. Über zahlreiche Reinigungen durch Waschen, Scheren, Purgieren usw. wusste Herodot zu berichten. (II/37, 41,47 und 77) Besonders Interessant erscheint der regelmässige Gebrauch von Abführmitteln als hygienische Massnahme.

 

„Ihre Lebensart ist wie folgt: sie brauchen Abführmittel drei Tage hintereinander in jedem Mond, und sorgen für ihre Gesundheit durch Speimittel und Klistiere, denn sie sind der Meinung, von den Speisen, die man zu sich nähme, entständen alle Krankheiten unter den Menschen. Denn im Allgemeinen sind die Ägypter die gesündesten Menschen nächst den Libyern, der Jahreszeiten wegen, wie ich glaube, weil die Jahreszeiten nicht verändern. Denn die Veränderlichkeit verursacht den Leuten die meisten Krankheiten, und vornehmlich die Jahreszeiten.“

 

Im selben Abschnitt wird uns aber auch verraten, aus welchen Gründen – im Hinblick auf die übliche Ernährung – das regelmässige Abführen vermutlich zur Notwendigkeit wurde, denn man konnte zwar Speisegesetze erlassen, musste letztlich aber auch die geografisch und klimatisch bedingte Verfügbarkeit der Nahrungsmittel in Rechnung stellen.

 

„Ihr Brot backen sie aus Dinkel und nennen dasselbe Kyllestis; Wein aber bereiten sie sich aus Gerste, den Reben wachsen in ihrem Lande nicht.  Die Fische essen sie zum Teil roh und an der Sonne gedörrt, zum Teil eingesalzen in Salzwasser. Von den Vögeln essen sie Wachteln und Enten und alles kleinere Geflügel roh, doch nachdem sie dieselben zuvor eingesalzen. Was sie aber sonst an Vögeln und Fischen haben, ausser denen, welche sie für heilig halten, die essen sie alle gebraten oder gekocht.“ (II/77)

 

Auch durften die Ägypter keine Bohnen essen (II/37), wahrscheinlich wegen ihrer blähenden Eigenschaften, die sich bekanntlich in den wärmeren Klimaten noch wesentlich stärker auswirkt als beispielsweise in Mittel- und Nordeuropa. Heute fehlen Bohnen, von dehnen sich die Armen fast ausschliesslich ernähren, selten bei den Mahlzeiten der Ägypter. So wird denn eines der ägyptischen Nationalgerichte, Ful, aus gekochten, braunen Bohnen mit Öl und Limonensaft bereitet.

 

„Ferner ist noch folgendes der Ägypter Erfindung: Welchem der Götter jeglicher Mond und jeglicher Tag heilig ist; und was einem begegnen wird, wenn man an dem oder jenem Tage geboren ist, und was er für ein Ende nehmen und was aus ihm werden wird. Und davon haben auch Gebrauch gemacht die Hellenen, so sich mit der Dichtkunst abgeben. Und Wunderzeichen gibt es bei ihnen mehr als bei anderen Völkern. Denn wenn ein Zeichen geschieht, so schreiben sie den Anfang sorgfältig auf, und wenn dann einmal in Zukunft etwas Ähnliches geschieht, so meinen sie, das müsse wieder ebenso kommen.“  (II/82)

 

„Die Heilkunde ist bei ihnen also verteilt: jeder Arzt ist nur für eine bestimmte Krankheit und nicht für mehrere, und es ist alles voll von Ärzten. Denn da gibt es Ärzte für die Augen, Ärzte für den Kopf, Ärzte für die Zähne, Ärzte für den Magen und Ärzte für andere innere Krankheiten.“  (II/84)

 

Die Spezialisierung und der offenbar bedeutende Umfang der ägyptischen Ärzteschaft, erschien Herodot, dem Hellenen, bemerkenswert, zumal es ein Facharztwesen bei den Griechen noch nicht gab. Bezeichnenderweise stehen die „Ärzte für die Augen“ in der Aufzählung, die Herodot wiedergibt, an erster Stelle, den die Augenkrankheiten waren zu seiner Zeit in Ägypten wie in anderen heissen Ländern wohl ebenso häufig wie heutzutage. Ägyptische Ärzte waren auch in anderen Ländern begehrt, und deren Herrscher liehen sich ägyptische Ärzte aus.

An zweiter Stelle folgen, in Herodots Aufzählung, die „Ärzte für den Kopf“. Die Trepanation wurde bereits im alten Ägypten geübt, wie auch in anderen Staaten des morgen- und abendländischen Altertums. 

Auch die ägyptischen Zahnärzte müssen sehr geschickt gewesen sein. Man hat in den Kiefern von Mumien künstliche Zähne gefunden.

 

Die medizinischen Fähigkeiten ägyptischer Ärzte waren zu dieser Zeit bereits sehr fortgeschritten. In der Odyssee heisst es: „Jeder dort ist ein kundiger Arzt vor sämtlichen Menschen Rings in der Welt, denn alle Ägypter sind Söhne Paieons“ (Paieon, Apollos Beiname als göttlicher Arzt)

Mehr aber noch beweisen die etwa 250 verschiedenen Krankheiten, die sich aus den erhaltenen medizinischen Papyri ermitteln lassen und deren Differentialdiagnose ein erhebliches medizinisches Wissen voraussetzt.

 

„Trauer und Begräbnis geschehen also bei ihnen: Wenn in einem Hause ein Mensch gestorben ist, das heisst einer, der etwas gilt, so bestreicht sich alles, was weiblichen Geschlechts ist, den Kopf und wohl auch das Gesicht mit Kot; und sodann lassen sie den Leichnam in dem Hause und rennen in der Stadt umher und schlagen sich an die Brust, aufgeschürzt und mit nacktem Busen, und mit ihnen alle ihre weiblichen Verwandten. Ebenso schlagen sich die Männer auf die Brust und sind auch aufgeschürzt. Und wenn sie das getan haben, dann bringen sie ihn zur Einbalsamierung.“ (II/85)

 

 

 

„Es sind aber hierzu besondere Leute eingesetzt, in deren Hände diese Kunst ist. Und wenn ihnen der Leichnam gebracht wird, so zeigen sie den Leuten Muster von den Leichnamen, aus Holz und recht natürlich bemalt; und eine Art wäre die Kostbarste, deren Namen scheue ich mich hier zu nennen; dann aber zeigen sie eine andere Art, die ist geringer als diese und wohlfeiler, und die dritte ist die wohlfeilste. Und wenn sie dies gesagt, so fragen sie, auf welche Art sie wollen den Leichnam behandelt haben, und wenn die Verwandten mit ihnen einig geworden um den Lohn, so gehen sie heim, jene aber bleiben dort in ihrem Hause und balsamieren. Und also geschieht die kostbarste Art: Erst ziehen sie das Gehirn mit einem krummen Eisen durch die Nasenlöcher heraus, aber nicht alles, sondern zum Teil auch dadurch, dass sie Arzneimittel hineingiessen. Sodann machen sie mit einem scharfen äthiopischen Stein einen Einschnitt in der Weiche und nehmen das ganze Eingeweide heraus. Und wenn sie dasselbe gereinigt und mit Palmwein begossen, so streuen sie alsdann Spezereien darauf.

Sodann füllen sie den Bauch an mit lauterer zerriebener Myrrhe, mit Kasia und allem übrigen Räucherwerk, nicht mit Weihrauch, und dann nähen sie ihn wieder zu. Wenn das vorbei ist, legen sie ihn in ein Natron und stellen ihn beiseite siebzig Tage, länger aber dürfen sie ihn nicht einlegen. Und wenn die siebzig Tage um sind, so waschen sie die Leiche und umwickeln den Leib ganz und gar mit feiner Byssosleinwand und überstreichen ihn mit Gummi. Dasselbe gebrauchen die Ägypter häufig statt des Leims. Nun holen die Angehörigen die Leiche ab und machen sich ein Hölzernes Bild von Menschengestalt und tun die Leiche da hinein. Und wenn sie auf die Art eingeschlossen ist, so verwahren sie dieselbe im Begräbniszimmer auf und stellen sie aufrecht an die Wand. Das ist die kostbarste Art der Leichenbereitung.“ (II/86)

 

„Wer aber die zu grossen Kosten scheut und die Mittelart wählt, die bereiten sie also: Sie füllen ihre Klistierspritzen mit Öl vom Zedernbaum und füllen damit den Leib der Leiche, doch so, dass sie keinen Einschnitt machen, noch den Magen herausnehmen, sondern sie bringen es vom Gesäss hinein und versperren dem Klistiere den Rückweg, und dann legen sie die Leiche ein die bestimmten Tage. Und am letzten Tage lassen sie das Zedernöl, das sie zuvor hineingetan, wieder heraus, und dasselbe hat solche Kraft, dass es Magen und Eingeweide ganz auflöst und mit herausbringt. Das Fleisch aber löst das Natron auf, und so bleibt von der Leiche nichts als Haut und Knochen. Und wenn sie dies getan, geben sie die Leiche wieder zurück und tun nichts mehr dazu.“ (II/87)

 

„Die dritte Einbalsamierung, welche minder Bemittelte anwenden, ist folgende: Sie spülen den Bauch aus mit Reinigungswasser und legen die Leiche ein, siebzig Tage lang, und dann geben sie dieselbe zurück zum Abholen.“ (II/88)

 

„Aber die Weiber angesehener Männer, wenn sie verstorben sind, geben sie nicht gleich zur Einbalsamierung, auch nicht die Weiber, die sehr schön oder sonst von grösserer Bedeutung sind; sondern wenn sie drei oder vier Tage gestanden, dann erst geben sie dieselben den Einbalsamierenden. Das tun sie deshalb, auf das die Einbalsamierer mit den Weibern keine Unzucht treiben. Denn es soll einer dabei ertappt sein, der Unzucht mit einer frischen Weiberleiche trieb, und ein Kunstgenosse hat es angezeigt.“ (II/89)

 

Wenn wir Herodot Glauben schenken dürfen, gab es zwar keine allgemeine Ungezieferplage, dennoch reichlich Mücken. Doch wusste man sich dagegen zu helfen, wie Herodot zu berichten weiss.

 

„Wider die Mücken, die in ungeheurer Menge dort sind, wenden sie folgende Mittel an: Die oberhalb der Marschen wohnen die sind geborgen in ihren Türmen, da sie hinaufsteigen und schlafen, denn die Mücken sind nicht imstande wegen der Winde in die Höhe zu fliegen. Die aber in der Marsch wohnen wenden statt der Türme folgendes Mittel an: Ein jeglicher besitzt ein Netz, damit fischt er bei Tage, bei Nacht aber braucht er es zum Lager, da er ruht. Um dies nämlich stellt er das Netz auf, und dann kriecht er darunter und schläft unter demselben. Wenn er sich mit einem Rock oder Laken zudeckte, würden die Mücken durchstechen, durch das Netz aber versuchen sie es gar nicht.“ (II/95)

 

 

 

 

Quellen:  Herodot – Bücher der Geschichte, Reclam. Band I: Herodots Leben und Werk; Band II: Kapitel 35-38; 47; 77; 82; 84 - 89; 95;  Dietrich Brandenburg – Medizinisches bei Herodot, Hessling: Herodots Leben und Werk. S.7; Herodots eigene Reisen. S.10; Über die Ärzte der Ägypter S.14; Über die Gesundheit der Ägypter S. 51; Über die Sitten und Gebräuche der Ägypter. Hygienische Massnahmen, I: Die Beschneidung. S. 91; Über die Sitten und Gebräuche der Ägypter. Hygienische Massnahmen, II: Kleidung, Reinigung Speisegesetze, Getränke. S. 96; Über das Purgieren, den Rizinus und andere Abführmittel.. S.103; Wie die alten Ägypter, die Perser und die Skythen die Körper ihrer Verstorbenen für das Leben nach dem Tode haltbar machten. S.152; Altes Testament 3.Mose, 11, 1-47; 5.Mose, 14, 3-21; Heiliger Koran, Sure 5, Vers 3 und 5;

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