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Die Zeit, (969 bis 1171 n. Chr.) in welcher die Familie der Fatimiden über das Land am Nil herrschte, gehörte zu den glänzendsten Perioden der Geschichte Ägyptens in islamischer Zeit. Das Imperium der Fatimiden reichte zeitweise vom Magrib und Sizilien bis zum Jemen und zum Euphrat. Ägypten wurde unter ihrer Herrschaft zur Drehscheibe des damaligen Welthandels und damit stieg die von ihnen gegründete Residez Kairo zur wichtigsten Metropole der islamischen Welt auf.
Hans Wüthrich
Al-Qahira
Aus der Geschichte einer
Stadt
Die Gründung
Al-Qahira - Die Gründung
Ende Juli des Jahres 1047 setzte der Reisende Naser-e Hosrou seinen Fuss auf ägyptischen Boden. Er hatte seine Heimat im Osten des Irans verlassen, Jerusalem und Hebron besucht, die Pilgerreise nach Mekka gemacht und ist dann nach Jerusalem zurückgekehrt. Doch er wollte die Heimreise nicht antreten, ohne das Wunderland am Nil bereist zu haben, das jetzt in so greifbarer Nähe lag. Am Sonntag, den 3. Safar (3. August) 1074 traf er in Kairo ein.
„Al-Qahira hat fünf Tore: das Siegestor (bab an-nasr), das Tor der Triumphe (bab al-futuh), das Brückentor (bab al-qantara), das Tor der Zawila (bab Zawila) und das Kanaltor (bab al-halig). Es gibt keine Mauer, doch die Gebäude selbst sind stärker und höher als Stadtmauern, und jedes Palais und Haus ist selbst eine Festung. Die meisten Gebäude sind fünf oder sechs Stockwerke hoch.“
Der Reisende Naser-e Hosrou hatte sich durch den Augenschein täuschen lassen, denn al-Qahira hatte eine aus Lehmziegeln errichtete Stadtmauer, die ein unregelmässiges Geviert umschloss. Naser-es Irrtum lasst sich dadurch erklären, dass die Stadt bei seiner Ankunft, doch fast achtzig Jahre nach ihrer Gründung, bereits so weit über ihren Mauerring hinaus gewachsen war, dass dieser durch die davor errichteten Gebäude weitgehend verdeckt gewesen war.
Kairo war nicht als Stadt gegründet worden, sondern als befestigte Palastanlage und Residenz des Kalifen. Am 17. Sa’ban (7. Juli) des Jahres 969 überschritt die Armee der Fatimiden unter dem Kommando des slawischen Generals Gauhar von Giseh kommend die Schiffbrücke über den Nil. Nördlich der ägyptischen Hauptstadt al-Fustat (Alt-Kairo) richteten sie ihr Lager auf, nachdem die Ägypter sich vertraglich dem Fatimiden-Kalifen unterworfen hatten. Der Kalif Al-Mu’izz selber weilte zu dieser Zeit noch im tunesischen Kairuan, in seiner Hauptstadt. Mit der mühelosen und fast friedlichen Besetzung Ägyptens war er seinem politischen Fernziel, der Eroberung Bagdads und dem Sturz des Abbasiden-Kalifen, ein grosses Stück näher gerückt. Gauhar, der in den Jahren 969 bis 973 als Vizekönig von Ägypten wirkte, erhielt Order aus Kairuan, den Umzug des Fatimiden-Kalifats an den Nil vorzubereiten. Am 3. Mai 970 soll Gauhar mit dem Ausstecken des Grundrisses der neuen Palaststadt begonnen haben. Am 10. Juni 973 konnte der Kalif al-Mu’izz seine Paläste in Besitz nehmen.
Gauhar hatte seine Neugründung genau an der Stelle angelegt, wo sich das Niltal zum Delta hin öffnet. Damals floss der Nil gegenüber heute, mehr als einen Kilometer weiter östlich. Damals lag zwischen seinem rechten Ufer und dem Fusse des Moqattam-Gebirges eine etwa 2 Kilometer schmale Enge, durch die am Fusse des Berges die Strasse nach Syrien führte. Westlich der Strasse verlief parallel zum Nil, der auf den Kaiser Trajan zurückgehende Kanal (halig), der den Nil mit dem Roten Meer verband. Eines der wenigen Gebäude, die sich auf dem Grund der späteren Palaststadt befanden, war ein christliches Kloster, das wegen seiner reichen Reliquien das „Kloster der Gebeine“ hiess.